Welche Möglichkeiten haben Kinder, wenn sie es zu Hause nicht mehr aushalten?

Streit zwischen Eltern und Kindern ist normal. Für ein komplett konfliktfreies Miteinander sind die Interessen von Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern einfach zu verschieden.

Kinder und Jugendliche wollen in aller Regel ab einem gewissen Alter möglichst schnell „erwachsen“ werden und alles tun und lassen können, was die über 18 Jährigen auch dürfen.

Eltern wiederum wollen ihren gesetzlichen Erziehungsauftrag wahrnehmen und müssen ihren Kindern vor diesem Hintergrund zuweilen auch Grenzen setzen. Dies ist der Normalfall, der zu – manchmal täglich stattfindenden – Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern führt. Dieser Normalfall bedarf aber auch keiner besonderen juristischen Betrachtung. Eltern und Kinder müssen sich schlicht immer wieder zusammenraufen.

Es gibt aber auch Fälle, bei denen das Kind nicht nur unter ganz gewöhnlichen Erziehungsmaßnahmen seiner Eltern zu „leiden“ hat, sondern bei denen das Kind geistiger oder körperlicher Gewalt ausgesetzt ist und Eltern ihrer Sorgepflicht für das Kind nicht nur nicht nachkommen, sondern diese Pflicht grob vernachlässigen. Die spektakulären Fälle solcher Verletzungen der elterlichen Sorgepflicht tauchen in erschreckend regelmäßiger Form in den Nachrichten und Zeitungen auf. Man darf davon ausgehen, dass die Anzahl ähnlicher Fälle, die unentdeckt und unveröffentlicht bleiben, ungleich höher ist.

Was aber kann ein Kind machen, wenn es die Lage zu Hause „einfach nicht mehr aushält“? Selbstverständlich bietet das Gesetz hier für das betroffene Kind oder den betroffenen Jugendliche Möglichkeiten, wie es sich in der konkreten Situation Hilfe holen kann.

Dreh- und Angelpunkt ist hierbei der § 1666 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser Paragraf schreibt folgendes fest:

Der Bundesgerichtshof (BGH) als oberstes deutsches Zivilgericht hat die Gefährdung des Kindeswohls in den 50er Jahren einmal wie folgt definiert: Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt dann vor, wenn „eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes voraussehen lässt“.

Die Fälle, die sich hinter diesen trockenen juristischen Formulierungen im konkreten Einzelfall verbergen, sind ebenso vielschichtig wie oftmals abscheulich:

Jede Form der körperlichen oder auch seelischen Misshandlung gefährdet das Kindeswohl. Die emotionale oder auch tatsächliche Vernachlässigung des Kindes, sexueller Missbrauch, die Isolierung des Kindes, chaotische Wohnverhältnisse, Streitigkeiten oder gar Schlägereien unter den Eltern. All dies beschreibt nur beispielhaft und unvollständig, unter welchen Umständen manche Kinder im Deutschland von heute groß werden und selbstverständlich ist in all den vorgenannten Fällen das Wohl des Kindes massiv gefährdet.

Die Gefährdung des Kindeswohls muss dabei auch nicht zwingend von den sorgerechtsberechtigten Eltern oder auch nur einem Elternteil ausgehen. Selbstverständlich leidet ein Kind unter Handlungen Dritter genauso, gegen die es von seinen Eltern nicht beschützt wird.

Ist das Kindeswohl im Einzelfall gefährdet, kann und muss das Familiengericht tätig werden. § 1666 Absatz 3 BGB enthält einen Katalog von Maßnahmen, die das Familiengericht zum Schutz des Kindes anordnen kann.

So kann das Familiengericht

  1. Gebote erlassen, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
  2. Gebote erlassen, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
  3. Verbote aussprechen, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
  4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
  5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, oder auch
  6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge anordnen.

Die vollständige Entziehung der elterlichen Sorge ist dabei immer nur das letzte Mittel, wenn kein milderes Mittel Erfolg versprechend ist.

Für das betroffene Kind oder den betroffenen Jugendlichen ist wichtig zu wissen, dass entsprechende Verfahren vor dem Familiengericht von Amts wegen eingeleitet werden, sobald das Gericht von einem einschlägigen Sachverhalt Kenntnis erlangt.

Für das Kind ist es am empfehlenswertesten, sich im konkreten Fall an das für den Wohnort des Kindes zuständige Jugendamt zu wenden. Die entsprechenden Kontaktadressen und Ansprechpartner sind unter www.jugendamt.com online verfügbar. Dort kann man sich, auf Wunsch auch anonym also ohne den eigenen Namen zu nennen, per Mail oder telefonisch melden und die Situation zu Hause schildern.

Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht entsprechend zu informieren, § 8a Abs. 3 SGB VIII (Sozialgesetzbuch 8.Teil).

Besteht eine dringende Gefahr für das Kind oder bittet das Kind selber darum und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen, § 42 Absatz 1 SGB VIII (Sozialgesetzbuch 8.Teil). Kinder können in diesem Fall in Kinderschutzzentren oder einer Pflegestelle oder auch bei sonstigen vertrauenswürdigen Erwachsenen, so z.B. Geschwistern, untergebracht werden.