Dürfen sich Jugendliche ohne Einwilligung der Eltern ein Piercing setzen oder tätowieren lassen?

Moden verändern sich. Galt es in den 70er und 80er Jahren noch für männliche Jugendliche als Zeichen ausgeprägter eigener Individualität, sich mit langen Haaren und rosa gefärbten Latzhosen in den Lateinunterricht zu setzen, sind die Bemühungen von Jugendlichen heutzutage, sich von der Masse abzuheben, wesentlich körperbetonter.

Dabei ist ein auf welchen Körperteilen auch immer getragenes Tattoo wegen des hohen Verbreitungsgrades von Tätowierungen bei Jungendlichen fast schon gewöhnlich. Als deutlich spannender wird offenbar zunehmend das Tragen von Piercings, kleinen Metallgegenständen in allen möglichen Formen und an allen möglichen Körperstellen empfunden. Noch Fortgeschrittenere lassen sich mittels so genannter „Flesh Tunnels“ ihre Ohrläppchen auf nicht gekannte Weiten dehnen oder tragen sogar Brandzeichen als Körperschmuck.

Über Sinn oder Unsinn solcher Verschönerungsmaßnahmen können Eltern mit ihren noch nicht volljährigen Kindern nächtelang diskutieren. Man kann diese Diskussionen aber auch abkürzen und zu der Einsicht gelangen, dass Geschmäcker offensichtlich verschieden sind.

Losgelöst von berechtigten medizinischen Bedenken gegen die vorbeschriebenen und in jedem Fall mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit verbundenen Maßnahmen, sind mit dem Stechen einer Tätowierung oder dem Setzen eines Piercings für den Jugendlichen aber auch nahezu unüberwindliche rechtliche Hürden verbunden.

Dabei muss bei Tattoo und Piercing rechtlich differenziert werden zwischen so genannten zivilrechtlichen Problemen einerseits und strafrechtlichen Aspekten andererseits.

Die zivilrechtlichen Probleme drehen sich rund um die Frage „Kann ein Minderjähriger wirksam einen Vertrag abschließen?“ und werden in den §§ 104 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) abgehandelt. Dieser Frage ist in diesem Ratgeber ein eigenes Kapitel gewidmet. Dort ist nachzulesen, dass man ab sieben Jahren „beschränkt geschäftsfähig“ ist und bis zur Volljährigkeit grundsätzlich nicht in der Lage ist, ohne die vorherige Zustimmung der Eltern einen wirksamen Vertrag (mit dem Tattoo-Studio um die Ecke) abzuschließen.

Auch der „Taschengeldparagraf“ in § 110 BGB hilft hier nicht weiter, da nach dieser gesetzlichen Bestimmung der Minderjährige zwar grundsätzlich rechtsgeschäftlich wirksam tätig werden kann, aber dies nur mit (Taschengeld-) Mitteln, die ihm die Eltern zu einem bestimmten Zweck überlassen haben. Selbstverständlich haben es die Eltern in der Hand, das Taschengeld unter der deutlichen Voraussetzung zu gewähren, dass es nicht für Tattoo oder Piercing ausgegeben wird. Damit ist der Taschengeldparagraf als zivilrechtliche Rechtfertigung für ein Tattoo vom Tisch.

Zwischenfazit: Der noch nicht Achtzehnjährige ist ohne Einwilligung seiner Erziehungsberechtigten rechtlich nicht in der Lage, wirksam einen Vertrag mit einem Tattoo-Studio abzuschließen. Versucht er es trotzdem, kann er nach Durchführung der Maßnahme regelmäßig sein Geld vom Tätowierer bzw. Piercing-Stecher zurück verlangen.

Erschwerend kommt folgender Aspekt hinzu: Jedes Setzen eines Piercings und jedes Stechen eines Tattoos erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung, § 223 StGB (Strafgesetzbuch). Jeder Betreiber eines Tattoo-Studios oder eines Piercing-Tempels steht demnach bei Vornahme seiner beruflichen Tätigkeit an einem Jugendlichen, und mag der Körperschmuck noch so formvollendet sein, mit einem Bein im Gefängnis.

Strafrechtliche Konsequenzen kann der Tätowierer nur auf Grundlage der Vorschrift in § 228 StGB vermeiden. Danach entfällt die Rechtswidrigkeit einer Körperverletzung dann und nur dann, wenn die verletzte Person vorab in die Beeinträchtigung eingewilligt hat.

Im Einzelfall dürfte es jedoch höchst fraglich sein, ob ein Minderjähriger im Sinne von § 228 StGB überhaupt wirksam in eine an ihm begangene Körperverletzung einwilligen kann. Die Gerichte stellen hier für die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung (höchst unkalkulierbar) darauf ab, ob der Minderjährige „seiner geistigen und sittlichen Einsichtsfähigkeit nach die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“ (BGHSt. 12 379).

Nachdem der Betreiber des Tattoo-Studios schlechterdings nicht in der Lage ist, die Frage der Einsichtsfähigkeit des jugendlichen Kunden rechtssicher zu klären, bleibt ihm zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen gar nichts anderes über, als auf einer schriftlichen Einwilligung der Erziehungsberechtigten seiner noch minderjährigen Kundschaft zu bestehen. Die Einwilligung des Jugendlichen allein kann einem engagierten Staatsanwalt im Zweifel zu wenig sein.